Im vergangenen Heimspiel gegen den deutschen Meister Bayer 04 Leverkusen bestritt Lewis Holtby sein 100. Pflichtspiel im KSV-Trikot. Im Interview spricht der 34-Jährige über seine bisherige Zeit im Storchennest, seine Rolle als Kapitän, die Zeit in England und die aktuelle Saison.
Gegen Bayer 04 Leverkusen hast du dein 100. Pflichtspiel für Holstein Kiel gemacht. Was bedeutet dir das?
Es freut mich sehr, dass ich schon so viele Spiele für die KSV machen durfte. Als ich damals unterschrieben habe, war diese Marke weit entfernt. Jetzt kann ich auf viele besondere Erinnerungen zurückblicken. Hoffentlich kommen noch viele weitere dazu.
Hättest du im August 2021, als du zur KSV gewechselt bist, gedacht, dass du dreieinhalb Jahre später dieses besondere Jubiläum feiern würdest? Und dass zu deinen exakt 200 Bundesliga-Spielen noch weitere hinzukommen würden?
Nein, ehrlich gesagt nicht. Ich habe mich vielmehr auf das Projekt Holstein Kiel gefreut. Außerdem war die Ausgangslage, als ich nach Kiel gekommen bin, eine andere: Damals hatte der Verein in der Vorsaison den Aufstieg in die Bundesliga knapp verpasst und war danach mit drei 0:3-Niederlagen in die neue Saison gestartet. Es ging also zunächst einmal darum, eine gewisse Stabilität herzustellen. Der Blick ging nach unten statt nach oben. Umso glücklicher bin ich, im Alter von 34 Jahren noch einmal Bundesliga spielen und mich auf diesem Niveau messen zu dürfen. Das erfüllt mich mit großem Stolz – gerade auch, weil das alles mit einem Verein wie Holstein Kiel etwas ganz Besonderes ist. Es sind so viele große Namen vertreten. Das war übrigens auch in der zweiten Liga schon so. Und trotzdem sind wir letzte Saison verdient aufgestiegen. Dass wir nun in der Bundesliga mitmischen, freut mich sehr. Ich bin dankbar, dass Holstein an mich geglaubt hat, und hätte mir den Verlauf dieser gemeinsamen Reise nicht schöner vorstellen können.

Wie hast du den Verein damals wahrgenommen? Und wie siehst du ihn heute?
Ich habe den Verein schon vorher positiv wahrgenommen und habe mit dem HSV hier schon meine Erfahrungen gemacht, als wir gegen Holstein zwei Watschen bekommen haben. Hier wurde ein frischer Fußball gespielt, was mir gut gefallen hat. Generell hat sich der Verein stetig weiterentwickelt und gute Entscheidungen getroffen. Davon wollte ich gerne ein Teil sein, zumal ich das Gefühl hatte, dass ich mit meiner Art und Weise, Fußball zu spielen, hier gut reinpasse. Rückblickend kann ich sagen, dass es die absolut richtige Entscheidung war.
In der vergangenen Saison hattest du mit fünf Toren und zehn Vorlagen maßgeblichen Anteil am historischen Aufstieg in die Bundesliga. Würdest du zustimmen, dass es eine der besten Spielzeiten deiner Karriere war?
Ja, die Saison gehört auf jeden Fall zu den Top drei meiner Karriere. Viele haben vor der Saison erwartet, dass wir gegen den Abstieg spielen werden. Stattdessen haben wir als Underdog richtig starken Fußball gespielt, der meinem Spielstil entgegengekommen ist. Hinzu kam, dass ich über die gesamte Saison hinweg gesund geblieben bin.
Woher kam diese Leistungsexplosion im Alter von 33 Jahren?
Das hat auch damit zu tun, was man rundherum macht, um fit zu bleiben. Ich achte sehr darauf, mich gesund zu ernähren, zusätzliche Einheiten zu absolvieren, gut zu regenerieren und mich generell auf diesem Gebiet weiterzubilden, indem ich mich beispielsweise auch von anderen Sportlern wie Roger Federer oder Luka Modric inspirieren lasse. Das alles ist natürlich sehr zeitintensiv und wäre für mich als zweifacher Familienvater ohne die überragende Unterstützung meiner Frau nicht möglich.

Du hast seit dieser Saison das Amt des Kapitäns inne. Hat sich deine Rolle innerhalb des Teams dadurch noch einmal verändert? Oder ist diesbezüglich alles beim Alten geblieben, weil du vorher bereits Co-Captain hinter Philipp Sander warst?
Philipp und ich haben uns in der vergangenen Saison perfekt ergänzt. Allerdings war es auch so, dass alles im Flow war und wir nur kleine Stellschrauben drehen mussten. In diesem Jahr werden wir als Aufsteiger mit mehr Widerständen konfrontiert, was das Ganze natürlich herausfordernder macht. Als Bindeglied zwischen Trainerteam und Mannschaft versuche ich, auf der einen Seite die richtigen Worte zu finden, auf der anderen Seite mich aber auch in einigen Situationen einmal zurückzunehmen und die Gruppendynamik einzubeziehen. Es geht darum, geschlossen in die anstehende Crunchtime zu gehen. Auch die Kommunikation mit den Fans war bisher sehr gut und es ist wichtig, dass wir das so fortführen und weiterhin eng zusammenstehen.
Du bist der älteste und erfahrenste Spieler im KSV-Kader. Versuchst du, diese große Erfahrung an jüngere Spieler weiterzugeben? Oder kommen Teamkollegen von sich aus zu dir und bitten um Ratschläge?
Beides. Ich versuche, jüngeren Spielern von mir aus Tipps zu geben, aber es kommen auch immer wieder Jungs zu mir und fragen nach Rat. Ich versuche ihnen dann bestmöglich zu helfen. Das gilt gerade auch für Spieler, die aus dem Ausland zu uns kommen. Ich versuche, ihnen den Einstieg so leicht wie möglich zu gestalten und ihnen direkt das Gefühl zu geben, zu Hause zu sein, weil ich weiß, wie es ist, allein ins Ausland zu gehen. Hier bemühe ich mich, von Beginn an ein guter Ansprechpartner zu sein.

Inwieweit hat sich auch der Profifußball im Laufe deiner Karriere verändert?
Der Profifußball hat sich enorm verändert. Allein, was das Regelwerk und Veränderungen wie die Torlinientechnik oder den Videobeweis angeht. Als ich angefangen habe, hatte ich ein zu großes XL-Trikot an und man hatte einen groben Plan, wie man spielen wollte (lacht). Mittlerweile gibt es viel mehr Trainingsmöglichkeiten und auch die Videoanalyse ist deutlich fortgeschrittener. Zwischen heute und den ersten Spielen, die ich gemacht habe, liegen Welten.
Du hast über drei Jahre deiner Karriere in der ersten und zweiten englischen Liga für die Tottenham Hotspurs, den FC Fulham und die Blackburn Rovers gespielt. Wie wichtig war diese Zeit im Ausland für dich? Und welche Rolle hat dein aus England stammender Vater hierbei gespielt?
Ich bin sehr britisch aufgewachsen, sprich wenn die englische Nationalmannschaft oder der FC Everton gespielt haben, lief immer der Fernseher. Es war immer ein Traum von mir, eines Tages einmal in der Premier League zu spielen. Ich habe mich damals vor meinem Wechsel nach England beim FC Schalke extrem wohlgefühlt, aber als das Angebot von Tottenham kam, konnte ich einfach nicht nein sagen. Es war rückblickend vielleicht nicht der optimale Zeitpunkt, weil ich noch recht jung war, aber es war eine sehr wertvolle Erfahrung. Und es war toll, im Heimatland meines Vaters, wo viele Familienmitglieder wohnen, spielen zu dürfen.
In deinen zwei Jahren bei den Rovers hast du nicht in Blackburn, sondern in Manchester gewohnt. Und auch jetzt wohnst du in Hamburg und spielst in Kiel. Das Pendeln macht dir also offensichtlich nichts aus. Wie vertreibst du dir die Zeit beim Autofahren?
Ich telefoniere viel oder genieße auch einfach die Ruhe, um einmal durchzuatmen. Wenn ich Musik höre, dann querbeet, also von Klassik über Rock bis Electro ist alles dabei. Ab und zu höre ich auch Podcasts, dann meistens Copa TS oder High Performance.

Springen wir nochmal in die Gegenwart: Als Aufsteiger mit dem kleinsten Etat der Liga durchlebt Holstein die erwartet schwere Saison. Was ist aus deiner Sicht noch drin für unsere Störche?
Es ist noch alles drin. Wir wissen, wie die Ausgangslage ist. Uns würde es sicherlich guttun, einmal ein Spiel zu Null zu spielen, zumal wir vorne immer für ein Tor gut sind. Optimal wäre es, einen Lauf zu haben und über längere Zeit konstant gute Leistungen auf den Platz zu bekommen. Das muss das Ziel sein – und ich bin fest davon überzeugt, dass uns das gelingen kann.
Es ist Holsteins erste Saison in der Bundesliga. Wie hast du die Stimmung in der Stadt und auch bei den Fans hinsichtlich dieser noch nie dagewesenen Situation in den vergangenen Monaten wahrgenommen?
Ich glaube, dass es uns gelungen ist, viele Menschen aus der Stadt und der ganzen Region für Holstein Kiel zu begeistern. Das spürt man nicht nur im Alltag, sondern auch an der Tatsache, dass uns so viele Fans auf den oft sehr weiten Auswärtsfahrten begleiten. Ich freue mich auch darüber, mittlerweile immer mehr Kinder in Holstein-Trikots zu sehen. Das erfüllt mich mit Stolz. Ich hoffe, dass der Verein diesen eingeschlagenen Weg weitergeht und sich viele Menschen mit Holstein Kiel identifizieren können.

Oft habt ihr im bisherigen Saisonverlauf den Gegnern Paroli geboten, standet am Ende aber mit leeren Händen da. Wie sehr ärgert es dich, dass man gute Leistungen zu selten in Zählbares ummünzen konnte?
Natürlich ärgert mich das sehr. Wir haben als Mannschaft immer wieder gezeigt, dass wir zurecht in der Bundesliga sind. Aber uns ist es leider nicht gelungen, diese Leistungen über einen längeren Zeitraum abzurufen, obwohl ich jeden Tag im Training sehe, dass wir eine richtig gute Mannschaft haben. Daran müssen wir weiter arbeiten.
Was wünschst du dir für die Zukunft – sowohl sportlich als auch privat?
Aus sportlicher Sicht wünsche ich mir weiterhin einen großen Zusammenhalt und noch mehr Siege. Ich hoffe, dass wir in einen guten Flow kommen und am Ende den Klassenerhalt schaffen. Privat wünsche ich mir Gesundheit und Glück für meine Kinder und meine Frau. Wenn alle glücklich sind, bin ich es auch.
Vielen Dank für das Gespräch, Lewis.