„Ich bin eine echte Kieler Sprotte“

Patrik Borger hat als Torwart-Trainer der KSV Holstein seinen Traumberuf gefunden

Patrik Borger stand für den TSV Altenholz und den VfR Neumünster im Tor, bevor ein Trainer des FC St. Pauli auf einer der legendären Sportlerpartys der Kieler Uni bei ihm anfragte. Mit dem Kiez-Klub stieg der mittlerweile 37-jährige Kieler aus der vierten Liga in die Bundesliga auf. Heute lebt der zweifache Familienvater in Meimersdorf und ist seit mehr als zwei Jahren für das Torwart-Training der KSV Holstein zuständig. Patrik Borger – ein Porträt:

Pauli: Mit dem Buchstaben „P“ wird es schon schwierig. Ich möchte natürlich über den FC St. Pauli sprechen, die schönste Zeit meiner aktiven Karriere. Aber der Verein fängt mit „Sankt“ an und heißt nicht ja einfach „Pauli“. Ich hoffe, das wird mir verziehen. Mein Wechsel zum FC St. Pauli war auf jeden Fall lustig. Ich spielte damals für den VfR Neumünster in der Oberliga (4. Liga, d. Red.), der Verein hatte Geldsorgen und unsere Gehälter wurden gekürzt. Und auf der Sportlerparty in der Mensa 2 der Kieler Uni sprach mich dann im Winter Frank Bernhardt an, mit dem ich beim Suchsdorfer SV in der Landesliga Nord gespielt hatte. Bernhardt trainierte die 2. Mannschaft des FC St. Pauli, einer unserer Gegner in der Oberliga. Es gibt ja diesen Spruch unter Fußballern „Willst Du was erleben, geh zu St. Pauli“ – deshalb habe ich zugesagt. Und für mich hat er sich eindeutig bewahrheitet! Ich spielte in der 2. Mannschaft eine gute Saison in der Oberliga, aber Anschluss an die „Erste“, die damals in der 3. Liga spielte, hatte ich nicht. Aber dann hatte auch dieser Verein seine Geldsorgen und musste sparen. Deshalb rückte ich als zweiter Mann hinter Benedikt Pliquett auf, der sich früh in der Saison die Hand brach. Mein zweiter Einsatz als Nummer eins war dann gleich ein Pokalspiel gegen den FC Bayern München. Ein unvergessliches Erlebnis. Leider haben wir in der Verlängerung mit 1:2 verloren – durch ein Eigentor von Patrik Borger! Ich wollte einen Ball über die Latte lenken, leider hat das nicht wunschgemäß geklappt. Danach sollte ich durch Timo Reus (heute Torwart-Trainer des VfR Aalen, d. Red) ersetzt werden, aber der trat im Training auf den Ball und fiel mit einem Bänderriss lange aus. Ich spielte eine gute Runde, blieb die Nummer eins und wir stiegen in die 2. Liga auf. Und später sogar in die Bundesliga, aber da lief es für mich nicht mehr ganz so gut, und ich wurde Nummer zwei hinter Mathias Hain.

Alltag: Wenn ich erzähle, dass ich Torwart-Trainer bei Holstein Kiel bin, gibt es immer die gleichen Fragen: Was machst Du beruflich sonst noch so? Und: Kann man davon leben? Meine Standartantworten lauten: Nichts. Ja.Dieser Job geht weit über eine 40-Stunden-Woche hinaus, dabei sind die Auswärtstouren noch nicht einmal mitgerechnet. Ich schieße hier ja nicht nur Bälle auf Tore. Meine Aufgabe ist auch, die Torhüter der U16, U17, U19 und U23 zu trainieren und das Torhüter-Training in den anderen U-Mannschaften zu koordinieren. Neben den Einheiten der Liga trainiere ich pro Woche noch dreimal am Abend mit der Jugend. Insgesamt bin ich hier für 22 Torhüter zuständig – das sind zwei Mannschaften.

Torwart: Ich bin in Suchsdorf aufgewachsen, meine Eltern wohnen noch immer da. Schon als kleines Kind habe ich mit meinem Vater gekickt. Er baute im Garten ein Tor auf, um aus mir einen beidfüßigen Fußballer zu machen. Er war der Meinung, dass ein guter rechter Fuß zu wenig ist. Er stellte sich immer ins Tor, ich sollte schießen. Da war ich fünf oder sechs Jahre alt. Irgendwann hatte ich dazu keine Lust mehr, und wir haben die Rollen getauscht – das gefiel mir viel besser. Ich verdanke ihm, dass ich für einen Torwart tatsächlich ein ganz brauchbarer Fußballer geworden bin. Als Jugendlicher schaffte ich einmal den Sprung in die Kreisauswahl, aber im Endspiel lief ich dann als linker Verteidiger auf. Ich habe mir zweimal die Kniescheibe gebrochen, aber mich, das erinnere ich noch gut, auch mit Gipsbein ins Handballtor gestellt, weil ich unbedingt kicken wollte. Entsprechend sah der Gips danach auch aus. Symptomatisch für meine Karriere ist, dass ich mein Drittliga-Debüt als Stürmer gab. Bei einem Punktspiel gegen Bremen II wurde ich, damals noch in Diensten des VfR Neumünster, in der Schlussphase als Stürmer eingewechselt. Fußball war und ist mein Hobby, ich habe mich immer auf jede Trainingseinheit gefreut. Auch am Geburtstag meiner Mutter war klar: erst Training, dann ab nach Hause zu Kaffee und Kuchen. Es war mir eigentlich egal, ob ich Kreis- oder Bundesliga spiele, ich wollte einfach nur spielen. Am Ende durfte ich beides erleben.

Reporter: Eine schwierige Berufsgruppe. Zu vielen hatte und habe ich einen ganz guten Kontakt. Ich habe aber auch Reporter kennengelernt, für die eine Geschichte wichtiger war als der Mensch – und zwar unabhängig vom jeweiligen Medium. Mit einigen Boulevard-Journalisten beispielsweise hatte ich nie Probleme. Besonders nachhaltig ist mir aber ein Gespräch mit einem Reporter einer Zeitung – der mit den vier Buchstaben – in Erinnerung geblieben. Auch ihm habe ich nach einem schlechten Spiel Rede und Antwort gestanden, was ich immer getan habe. Er hörte sich alles an, war nett und freundlich. Um mir dann anschließend zu sagen, dass die Zeitung mich in ihrer morgigen Ausgabe völlig zerreißen werde und ich für meine Leistung die Note sechs bekäme. Gerade die TV-Reporter haben oft irgendeine Geschichte um einen herum gebastelt. So bekam ich den Spitznamen „Prinz Valium“, weil ich im Tor angeblich immer eine so große Ruhe ausstrahlte. Als es dann mal nicht mehr so gut lief, wurde daraus gemacht, dass ich eine Schlafmütze bin. Als Einzelner fühlte man sich den Reportern oft wehrlos ausgesetzt, mein Verhältnis zu dieser Berufsgruppe würde ich vorsichtig mit „zwiespältig“ umschreiben.

Idealer Tag: Davon hatte ich in diesem Jahr zwei, in beiden Fällen hatte er mit Familie und Fußball zu tun. Der erste war im Sommer, als ich mit unseren Töchtern auf einem Fördedampfer nach Mönkeberg gefahren bin. Vorbei an all den großen Kreuzfahrern, die die Kinder begeisterten. In Mönkeberg holte uns meine Frau ab, und ich schaute mir mit 1500 anderen Zuschauern das Verbandsliga-Aufstiegsspiel zwischen Concordia Schönkirchen und Intertürk an. Anschließend grillten wir im Garten meiner Schwiegereltern, die quasi neben dem Sportplatz wohnen. Ein Abend, an dem dann auch noch das DFB-Pokal-Endspiel zwischen Bayern München und Borussia Dortmund lief! Der zweite war der Tag, an dem wir 3:0 gegen den FSV Zwickau gewannen. Ole Werner (Trainer der U23) und Hannes Drews (Trainer der U19) trainierten damals als Interims-Duo die Liga. Eine besondere Zeit, in der wir im Nachwuchsleistungszentrum noch enger zusammengerückt sind. Anschließend habe ich sie zu uns zum Grillen eingeladen, das war in jeder Hinsicht ein wunderschöner Abend. Auch das Wetter war top. Und weil ich das Ergebnis richtig getippt hatte, musste ich dafür noch nicht einmal bezahlen.

Kiel: Ich bin eine echte Kieler Sprotte und war noch nie länger als zwei Wochen weg aus Kiel. Für viele Menschen ist sie zwar nicht die schönste Stadt der Welt, aber für mich muss sie das auch nicht sein – das Heimatgefühl ist ja in erster Linie ein innerer Wert. Auch in den fünf Jahren, in denen ich für den FC St. Pauli gespielt habe, bin ich immer gependelt. Witzig ist auch, dass ich mit Wasser eigentlich nicht viel anfangen kann. Ich finde es zwar toll, aber eine echte Wasserratte bin ich nicht. Ich ärgere mich immer, wenn Menschen, die neu hier sind, sagen, dass es in Kiel immer windig ist und es ständig regnet. Erstens stimmt das nicht, zweitens gibt es zu jedem Wetter die richtige Kleidung, drittens glaube ich auch nicht, dass das Wetter in allen anderen Bundesländern durchgehend toll ist.

Beruf: Ich habe eine Lehre als Industriekaufmann gemacht. Wo? Bei HDW. Auf der Werft, mehr Kieler geht also gar nicht. Anschließend habe ich verschiedene Jobs gemacht, die mir nicht ganz so gelegen haben. Da ging ich nicht selten mit Bauchschmerzen zur Arbeit. Aber jetzt, als Torwart-Trainer bei Holstein Kiel, kann ich mit Überzeugung sagen, dass ich meinen Traumberuf gefunden habe. Der beinhaltet alles, was mir Spaß macht. Wie es dazu kam? Als Simon Henzler (Torwart-Trainer bei Schalke 04, d. Red.) den Verein verließ, habe ich mich beworben und wurde sein Nachfolger im Nachwuchsleistungszentrum. Als dann Carsten Wehlmann, der diese Aufgabe für die Ligamannschaft ausübte, hauptamtlich als Scout arbeiten sollte, rückte ich für ihn nach. Alternativ wäre Tierpfleger für mich ein idealer Beruf. Für einen TV-Sender haben wir als Mannschaft des FC St. Pauli einmal in Hagenbecks Tierpark die Fütterungen übernommen. Das war lustig, aber wenn ich in einem Tierpark arbeiten sollte, dürfte es keine Löwen und Tiger geben, die sind mir zu gefährlich. Auch keine Tiere, die größer sind als ich. Also Elefanten. Und keine Vögel. Ich habe Angst, dass sie mir die Augen auspicken. Mit Orang-Utans dagegen würde ich mich gut verstehen. Wichtig ist mir, das habe ich bei all meinen Jobs festgestellt, dass ich dabei auch draußen arbeiten kann.

Oldtimer: Mein Traum ist ein 1967er Ford Mustang. Ich weiß nicht genau, ob meine Frau es für angemessen hält, wenn sie damit die Kinder durch die Gegend chauffieren müsste. Aber ich liebe dieses blubbernde Geräusch des Motors einfach, eines Tages werde ich einen fahren. Die neuen Autos finde ich zwar auch super, als Technik-Freak begeistert mich, was die alles können. Aber den Gegensatz dazu finde ich persönlich noch reizvoller.

Reeperbahn: Zu Pauli-Zeiten unsere Party-Meile. Vom Stadion zur Reeperbahn sind es ja nur wenige Meter. Bei beiden Aufstiegen, in die 2. Liga und in die Bundesliga, waren jeweils mehr als 60000 Menschen da. Beim ersten Aufstieg haben wir drei Tage ununterbrochen gefeiert – das war einfach unglaublich. Ich frage mich, was unsere Kieler Fans diesbezüglich drauf haben und würde mich freuen, wenn wir das eines Tages einmal gemeinsam herausfinden. Ich bin optimistisch! Was den Aufstieg und die Feiertauglichkeit unserer Fans angeht.

Gewinnen: Das ist eine meiner großen Stärken. Für mich ist alles ein Wettkampf. Das nervt zwar meine Frau, aber ich will immer gewinnen. Auch bei „Mensch ärgere Dich nicht“. Inzwischen kann ich mit Niederlagen besser umgehen. Als Kind, so wird mir von meinen Eltern berichtet, muss es mit mir aber schlimm gewesen sein. Mein Vater hat mich damals auch nicht gewinnen lassen, da flossen viele Tränen, aber vielleicht kommt auch daher der Wunsch, mich immer messen zu müssen, messen zu wollen. Ich spiele, um zu gewinnen. Die Einzigen, die ich manchmal gewinnen lasse, sind meine Töchter. Noch.

Eltern: Meine Eltern Claus und Brigitte wohnen nur 800 Meter entfernt vom Trainingsgelände in Projensdorf. Zweimal in der Woche ist ihr Haus meine Kantine, dann kocht Mutti für mich. Wir haben einen tollen Kontakt, sie freuen sich einfach darüber, dass ich mit meiner Familie in der Nähe wohne. Sie haben mich als Kind, das viel Sport treiben wollte, immer hundertprozentig unterstützt. Und das nicht nur in dieser Hinsicht. Später ist mein Vater mir zu Pauli-Zeiten bei vielen Spielen mit dem Zug hinterhergereist. Und inzwischen kommen beide auch regelmäßig zu den Heimspielen der KSV Holstein.

Rasenmähen: Wir haben kein besonders großes Grundstück, deshalb ist das Rasenmähen auch nicht schlimm. Im Gegenteil: Ich setze mir Kopfhörer auf und entspanne die 45 Minuten, die ich dafür brauche. Mein Traum, neben dem Ford Mustang, ist allerdings ein Mäh-Roboter. Und nicht nur das: Während einer Fußball-WM oder –EM soll er, mit Deutschland-Flagge ausgestattet, meinen Rasen mähen, damit jeder in der Nachbarschaft weiß, dass heute die Nationalmannschaft spielt. Ich würde mir wünschen, dass mein Rasen zum Teppich wird, leider haben meine Töchter eine andere Vorstellung davon, wie ein Garten genutzt wird.

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