Sensation 2011: Kieler Regionalligist schlägt Mainzer Erstligisten.
Gegen den kommenden Bundesliga-Gegner FSV Mainz 05 gelang Holstein die größte Pokalsensation der Vereinsgeschichte.
Sensationen erlebten die Fans der KSV Holstein zahlreiche in der langen Geschichte des seit 1935 ausgetragenen deutschen Pokal-Wettbewerbs – im positiven und auch im negativen Sinne. Abgesehen von den beiden weniger glücklichen Halbfinale-Teilnahmen im Oktober 1941 im Tschammer-Pokal beim FC Schalke 04 (0:6-Niederlage) oder im Mai 2021 im DFB-Pokal bei Borussia Dortmund (5:0 für den BVB) erinnern sich natürlich viele Fans an den glorreichen Sieg gegen den deutschen Rekordmeister Bayern München im Januar 2021 als der damalige Kieler Zweitligist mit einem 8:7 nach Elfmeterschießen für eine faustdicke Überraschung sorgte. Holsteins 3:0-Sieg im Elfmeterschießen als Regionalligist gegen den Erstligisten Hertha BSC im September 2002 war dann kurz nach der Jahrtausendwende ein echter Paukenschlag des schlingernden Traditionsclubs von der Förde.
Ältere Generationen hingegen träumen noch heute vom 2:1-Sieg gegen den VfB Stuttgart im Dezember 1970 oder vom 5:4 gegen Hannover 96 ein Jahr später. Gegen den Karlsruher SC spielte Holstein dann im Dezember 1978 in der dritten Pokalrunde beim 5:2 die vermutlich „beste Halbzeit nach dem 2. Weltkrieg“ (O-Ton KSV-Trainer Kuno Böge). Sucht man allerdings nach der größten Sensation, dann nimmt der 21. Dezember 2011 bis heute in der über 80-jährigen Pokalgeschichte der KSV eine Sonderstellung ein. Damals setzte sich der viertklassige Regionalligist aus Kiel mit 2:0 gegen den Bundesligisten Mainz 05 mit dem heutigen Nationaltrainer Englands, Thomas Tuchel, durch.
„Wir fahren nach Berlin!“
Das Achtelfinalspiel gegen Mainz – zuvor hatte die Mannschaft von Trainer Torsten Gutzeit die Zweitligisten aus Cottbus (3:0) und Duisburg (2:0) eliminiert – geriet drei Tage vor dem Weihnachtsfest zu einem außergewöhnlichen Abschluss des Fußballjahres. Holstein besiegte den haushohen Favoriten aus Mainz durch das Eigentor von Anthony Ujah nach Freistoß von Tim Siedschlag (6.) und dem Treffer von Steve Müller aus halblinker Position (64.) verdient mit 2:0 und sorgte dafür, dass der Fußball im nördlichsten Bundesland endlich mal wieder in aller Munde war – und das deutschlandweit. Die 10.649 Zuschauer im vollbesetzten Holstein-Stadion feierten den Außenseiter am Ende frenetisch. „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin“, stimmten die Fans immer wieder. Der Mainzer Trainer Thomas Tuchel verstand die Welt nicht mehr, denn der Regionalligist aus Kiel spielte gegen den Bundesligisten auf Augenhöhe.
Glückliche Losfee und herbe Kritik
Die Feierlaune nach der Sensation gegen Mainz hörte bei den Störchen bis zur Weihnachtsfeier am nächsten Tag nicht mehr auf. Der Jubel über den Erfolg gegen Mainz 05 war noch nicht ganz verklungen – da folgte bereits der nächste Grund zur Freude. Nationalspielerin Melanie Behringer loste der KSV keinen geringeren Gegner als den amtierenden Deutschen Meister Borussia Dortmund um Robert Lewandowski, Mats Hummel und Co. zu. „Das wird jetzt aber noch mal ein ganz anderes Kaliber“, kommentierte Kapitän Jürgensen das Los ehrfürchtig. Weniger positiv waren die Reaktionen einiger Fans und Spieler im VIP-Zelt, die während der Auslosung Schmähgesänge in Richtung Dortmund anstimmten. Ein großes Negativ-Echo in der Boulevardpresse prasselte auf die Störche nieder, die sich kurz darauf vor laufender Kamera kleinlaut beim Meister entschuldigen mussten.
Klimazelt im Holstein-Stadion
Dass die beiden Pokalspiele gegen Mainz und Dortmund mangels einer Rasenheizung überhaupt im Holstein-Stadion ausgetragen werden konnten, war damals einer speziellen Zeltkonstruktion zu verdanken, die Sportchef Andreas Bornemann aus dem Mutterland des Fußballs kannte. So sorgten ein 4.800 Liter Gastank, eine 6.000 Quadratmeter große Plane sowie der Schulterschluss hoch motivierter Unternehmen des Störcheclubs mit den Stadtwerken Kiel und der Landeshauptstadt für eine ausgeklügelte Zeltkonstruktion über dem Spielfeld des Holstein-Stadions. „Ein Umzug kam für uns ohnehin zu keinem Zeitpunkt infrage“, hatte KSV-Geschäftsführer Wolfgang Schwenke vor den Pokal-Highlights unmissverständlich erklärt.
Das Kieler Wintermärchen
Trotz der Misstöne nach der Auslosung war der Imagegewinn der KSV Holstein im Pokaljahr 2011/12 insgesamt enorm und der Sieg gegen Mainz ging als Wintermärchen in Holsteins Pokalgeschichte ein. Noch heute ist der 21. Dezember 2011 fest in den Köpfen der Kieler Fans verankert. Dass die Störche nun, 13 Jahre später, in der Bundesliga auf eben diesen FSV Mainz 05 treffen, das hätten sich damals selbst die tollkühnsten Optimisten niemals erträumen lassen.